Impfung gegen Viren
Impfung gegen Viren
Hallenser Wissenschaftler entwickeln einen RNA-Wirkstoff gegen das Gurtkenmosaik-Virus
Ein neuartiger Wirkstoff schützt vor dem Gurkenmosaik-Virus, dem am häufigsten auftretenden Virus in Landwirtschaft und Gartenbau. Er besteht aus RNA-Bausteinen, die das Immunsystem der Pflanzen beim Kampf gegen das Virus unterstützen.
Das Gurkenmosaik-Virus ist gefürchtet. Etwa 90 Blattlausarten können es übertragen und es befällt mehr als 1200 Pflanzenarten. Darunter zahlreiche landwirtschaftliche Nutzpflanzen wie Kürbisse, Gurken, Getreide sowie Heil- und Gewürzpflanzen. Schnell zu erkennen ist das Virus anhand des charakteristischen, mosaikartigen Musters auf den Blättern der befallenen Pflanzen. Diese entwickeln sich schlecht, ihre Erträge können nicht vermarktet werden. Ein Pflanzenschutzmittel gegen das Virus ist in Deutschland nicht zugelassen. Langfristig könnte die Entwicklung der Forschenden der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU) Hilfe versprechen. Deren Idee ist, die pflanzliche Abwehr gegen das Virus in die richtige Richtung zu lenken.
Abwehrreaktionen sind zwar vorhanden, aber nicht effektiv
Befällt ein Virus eine Pflanze, nutzt es deren Zellen als Wirt. Es bringt sein Erbgut in Form von Ribonukleinsäure-Molekülen (RNAs) in die Pflanzenzellen ein, um sich zu vermehren. Dort lösen diese fremden RNA-Moleküle eine erste Abwehrreaktion des Immunsystems aus: Spezielle Enzym-Scheren erkennen die Virus-RNAs und zerschneiden sie. Dabei entstehen "small interfering RNAs" (siRNAs). Diese können sich in der Pflanze verbreiten und eine zweite Stufe der pflanzlichen Verteidigung einleiten. Dabei binden sich die siRNA-Moleküle an spezielle Proteinkomplexe und leiten diese zu den Virus-RNAs. Dort beginnen die Proteine damit, die schädlichen Virus-RNA-Moleküle in harmlose Teile zu zerlegen und abzubauen.
„Insgesamt ist dieser Abwehrprozess nicht besonders effektiv. Bei einer Virusinfektion entstehen sehr viele verschiedene siRNA-Moleküle, von denen nur die wenigsten eine Schutzwirkung haben", sagt Professor Dr. Sven-Erik Behrens vom Institut für Biochemie und Biotechnologie der MLU. Sein Team hat nun eine Methode entwickelt, um die effizienten siRNA-Moleküle zu identifizieren. Mehrere von ihnen, in sogenannten effizienten doppelsträngigen RNA-Molekül-Paketen (edsRNAs) kombiniert, werden in die Pflanze eingebracht und in den Zellen wieder in effiziente siRNAs zerlegt. Dort können sie ihre schützende Wirkung entfalten.
80 bis 100 Prozent Überlebensrate
In Labor-Experimenten an der Modellpflanze Nicotania benthamiana konnte das Team zeigen, dass edsRNA-Wirkstoffe zuverlässig gegen das Gurkenmosaik-Virus schützen. „Wir haben in unseren Experimenten eine sehr hohe Virenlast verwendet, die alle unbehandelten Pflanzen sterben lässt“, sagt Behrens. Waren die Pflanzen dagegen behandelt, dann überlebten 80 bis 100 Prozent. Der besondere Vorteil des edsRNA-Wirkstoffs: Beim Zerlegen des Pakets werden effiziente siRNA-Moleküle freigesetzt, die das Virus an verschiedenen Stellen attackieren. So steigt die Schutzwirkung erheblich. „RNA-Viren wie das Gurkenmosaik-Virus sind gefährlich, weil sie sich schnell weiterentwickeln können. Außerdem besteht ihr Erbgut aus drei separaten Teilen, was die Chance auf neue Mutationen weiter erhöht. Um einen maximalen Schutz zu erreichen, setzen unsere Substanzen deshalb an verschiedenen Stellen an“, sagt Behrens. Außerdem habe das Team das Verfahren optimiert und könne den Wirkstoff innerhalb von zwei bis vier Wochen an Mutationen anpassen: „Zeit ist ein sehr wichtiger Faktor: Wenn eine neue Virenvariante auftaucht, können wir sehr schnell neue RNA-Ziele ausmachen und den Wirkstoff verändern.“ Der Ansatz ließe sich auch auf andere Krankheitserreger übertragen.
Ausbringung praxistauglich machen
Bislang wird der Wirkstoff im Labor in Pflanzenblätter gespritzt oder in die Pflanzen eingerieben. Das Team erforscht in Kooperation mit dem Pharmazeuten Professor Dr. Karsten Mäder von der MLU, wie sich die RNA-Wirkstoffe haltbarer machen lassen und gleichzeitig besser in die Pflanzen gebracht werden können. Denkbar wäre zum Beispiel eine Anwendung als Spray. Gleichzeitig werden Feldversuche geplant, um die RNA-Wirkstoffe auf Ackerflächen zu testen. Das Team ist auch schon mit Unternehmen im Gespräch, die die Wirkstoffe im industriellen Maßstab herstellen könnten. Bis ein fertiges Mittel gegen das Gurkenmosaik-Virus auf den Markt kommen könnte, vergeht also noch Zeit. „Wir sind aber davon überzeugt, dass unser Ansatz auch in der Praxis funktionieren kann. Das erste Pflanzenschutzmittel auf der Basis eines RNA-Wirkstoffs ist kürzlich in den USA zugelassen worden", sagt Behrens.
Quelle: MLU